Das Zwergle trifft den bösen Zauberer Homunkulus

Das Zwergle ging wieder einmal durch den Zwergles-Wald, um sich an der Natur zu erfreuen.
Als es einige Zeit gelaufen war, sah es ganz aus der Ferne einen seltsamen Wanderer auf dem Weg daherkommen.
Zwergle blieb stehen, denn es spürte, daß dieser Wanderer gefährlich sein könnte. So versteckte sich unser Zwergle rasch hinter ein paar Büschen und beobachtete den seltsamen Mann, der jetzt schon ganz nahe war. Er war sehr hager, hatte ein schmales, kantiges Gesicht, in dem zwei Augen feurig glühten, trug eine spitze Zaubermütze und einen langen schwarzen Umhang mit vielen seltsamen Zeichen darauf. Ganz klar: Dieser Mann mußte ein Zauberer sein.

Zwergle sprang nun hinter dem Busch hervor und lief auf den Zauberer zu, der ihn überhaupt nicht beachtete, sondern einfach weiterging.
"Hee, du, wer bist du denn?" fragte das Zwergle mit kecker Stimme.
Der Zauberer blickte das Zwergle mit böse funkelnden Augen an und gab mürrisch zurück: "Ich bin Homunkulus, der große Zauberer, und ich will mich hier in diesem Wald niederlassen und der Herr dieses Waldes werden."
Das Zwergle wußte, daß es vor einem Zauberer keine Angst haben brauchte, denn das Licht im eigenen Herzen würde es vor jedem gefährlichen Zauber beschützen. So antwortete es ganz ohne Furcht: "Bei uns im Zwergles-Wald gibt es keinen König, denn hier wohnen nur Zwergles und Tiere. Und die dulden keine Herren über sich. Also glaube nur nicht, daß du dich zum Herren aufspielen kannst, du komischer Zauberer. Wohnen darfst du wohl im Wald, wenn du dir ein Haus baust, aber ein Herrscher wirst du niemals werden. Das sage ich dir gleich ..."
Doch der Zauberer Homunkulus fing ganz fürchterlich zu lachen an und rief: "Hohohoho, du kleiner Zwerg, was erzählst du mir da für dummes Zeug. Wenn ich der König des Waldes werden will, dann werde ich das auch. Wer sollte mich denn aufhalten? Ihr kleinen Zwerge vielleicht? Euch würde ich doch mit einem Atemzug wegpusten. Da brauche ich nicht einmal zu zaubern. Höre mir gut zu, du Zwerg. Ich werde mir dort hinten im dunklen Bergwald eine Höhle bauen, und von dort aus werde ich den ganzen anderen Wald erobern. Und niemand wird mich aufhalten."

Das Zwergle spürte, daß der Zauberer Homunkulus es mit seinem Vorhaben sehr ernst meinte. So sprach es zu ihm: "Ich warne dich, Zauberer, wenn du hier im Wald Unruhe stiftest, dann werde ich dich höchstpersönlich aus dem Wald hinauswerfen. Ich habe nämlich gar keine Angst vor dir. Und die anderen Zwergles auch nicht. Du wirst schon sehen."
"Hohoho," lachte der Zauberer und funkelte noch wilder mit den Augen, "was willst du schon gegen mich ausrichten? Paß auf, ich werde dir gleich einmal meine Zauberkraft zeigen."
Kaum hatte er so gesprochen, holte er aus seinem Umhang einen echten Zauberstab heraus, nahm ihn in die rechte Hand, fuchtelte ganz schrecklich mit ihm herum, was wohl beeindruckend wirken sollte, und sprach:
"Aberakadabera, mein Zauber wirke gut,
aberakadabera, das Zwergle hat nen Hut!"
Dann gab es einen kleinen Knall - und, schwuppdiwupp, hatte das Zwergle den gleichen seltsamen Zauberhut auf wie der Homunkulus.

Zwergle war sehr verdutzt, denn es hatte gar nicht so sehr glauben wollen, daß der komische Wanderer wirklich zaubern könne.
Homunkulus verzog nun seinen großen Mund mit den weit nach unten gezogenen Mundwinkeln zu einem feisten Grinsen und lachte hämisch: "Ha, du dummes Zwergle, da siehst du wohl! Ich, der große Zauberer Homunkulus, kann sehr gut zaubern. Und du kannst überhaupt nichts verhindern. Du kannst nur dumm reden. Sonst nichts! Also verschwinde jetzt endlich und laß mich in Ruhe weitergehen, dann will ich noch einmal vergessen, welche Frechheiten du mir gesagt hast. Mir, deinem zukünftigen König!"
Doch unser Zwergle ließ sich überhaupt nicht einschüchtern. Es riß mit einem Ruck den Zauberhut vom Kopf und warf ihn auf den Boden.
Dann zog es sein eigenes Zauberschwert hervor, das es meist bei sich trug, und antwortete: "Mit so einem einfachen Trick kannst du mich nicht beeindrucken. Sieh mal, wie ich deinen Zauberhut nun verwandle; mit diesem Zauberschwert kann ich nämlich jeden bösen Zauber wieder gut machen und außerdem alles Böse und Dunkle verwandeln und mit Licht anfüllen."
Und während der Zauberer etwas verständnislos die Mundwinkel wieder ganz nach unten zog, hob Zwergle sein Schwert hoch in die Luft und rief: "Licht komme vom Himmel herab und verbrenne die dunklen Zaubermützen!"

Und augenblicklich wurden sowohl die Mütze des Zwergles als auch die von Humunkulus, die der Zauberer noch auf dem Kopf trug, von einem feurigen Licht durchdrungen und verbrannten auf der Stelle.
"Aua! Was war das?" schrie der Zauberer in maßloser Verwunderung. Er langte sich an den Kopf und spürte, daß er seinen Zauberhut gar nicht mehr auf hatte.
Da verzog er sein Gesicht zu einer finstren Grimasse und zischte: "Zwergle, was fällt dir ein? Du wagst es, dich an meinem Hut zu vergreifen? Na, dir werde ich's zeigen! Paß auf, was ich jetzt mit dir mache ...!"
Der Zauberer Homunkulus wollte gerade wieder seinen Zauberstab schwingen, doch das Zwergle kam ihm diesmal zuvor.
Es rief rasch, aber sehr leise:
"Hokus-pokus-fidibos,
der Zauber geht nach hinten los!"
Homunkulus hatte nicht gehört, was das Zwergle geflüstert hatte, und sprach nun: "Aberakadabera, du sollst für einen Tag und eine Nacht ein Frosch sein."
Dabei wedelte er ganz wild mit seinem Stab.
Doch die magische Kraft mußte jetzt natürlich ihn selbst treffen. So gab es einen lauten Knall - und dort, wo gerade noch der Zauberer gestanden hatte, saß nun ein häßlicher, brauner Frosch auf der Erde, über und über mit gelben Warzen bedeckt und mit einem breiten Froschmaul.
"Quak, quaak, quaaak", gab der Frosch von sich und schaute bitterböse drein, als ob er vor lauter Wut das Zwergle mit seinem breiten Froschmaul auf der Stelle verschlingen wollte.

Das Zwergle jedoch fing ganz laut an zu lachen: "Hihi, du dummer Zauberer, hihihi, das hast du jetzt davon. Dein Zauber ist fehlgeschlagen. Du bist selbst ein Frosch geworden. Und das hast du mir zu verdanken. Homunkulus, ich rate dir eines: Laß das Zaubern in Zukunft sein. Du kannst es doch nicht! Und wenn du morgen wieder zurückverwandelt bist, dann renne ganz schnell aus dem Zwergle-Wald hinaus, daß dich nicht alle Zwerge verlachen und rufen: 'Schaut her, das ist der dumme Zauberer, der sich immer selbst verzaubert ....' Am besten ist es, wenn du jetzt sofort weghüpfst, denn wir haben viele Störche hier, deren Lieblingsspeise Frösche sind. Und die würden sich freuen, so einen Leckerbissen wie dich in den Schnabel zu bekommen. Tschüß, großer Zauberer, vielleicht sehen wir uns mal wieder. Hahahaha ..."
Und das Zwergle lachte den Zauberer-Frosch, der jetzt immer kläglicher quakte, noch einmal herzlich aus, dann drehte es sich um und ging davon, ohne den Frosch noch weiter zu beachten.

Der verzauberte Homunkulus jedoch dachte überhaupt nicht daran, aus dem Wald zu verschwinden. Er suchte sich zunächst einen Tümpel, in den er rasch hineinhüpfte, um sich bis zum nächsten Tag vor den Störchen zu verstecken. Denn der Frosch-Zauber wirkte nur einen Tag. Und dort grollte er dann vor sich hin und wäre vor Wut fast geplatzt, weil ihn all die anderen Frösche dumm anquakten und fragten, was er hier in ihrem Teich wolle, wo er doch keiner von ihnen sei.

Am nächsten Morgen war der Zauber dann endlich vorbei, und der Frosch, der immer noch wutentbrannt im Teich hockte, verwandelte sich wieder in den Zauberer Homunkulus.
Das Bild hättest du sehen sollen, als der zurückverwandelte Zauberer aus dem Teich stieg, über und über von Schlamm bedeckt. Und auch einige Sumpf-Würmer hatten es sich auf ihm gemütlich gemacht. Wahrscheinlich dachten sie, er sei ein leckeres Abendessen.

Bebend vor Zorn wischte sich der Zauberer erst einmal all den Dreck vom Körper, doch richtig waschen konnte er sich ja nicht. Und so mußte er - schmutzig, wie er war - weitergehen. Er beschloß, so rasch wie möglich eine Höhle zu finden, in der er vorerst wohnen könnte. Wenn er erst einmal der König des Waldes geworden war, dann würde er diese dummen Zwerge schon dazu zwingen, ihm einen Palast zu bauen. Das stellte er sich hämisch grinsend vor, als er weiter durch den Wald ging, immer direkt auf die Höhlen zu.

Nach ein paar Stunden Suche hatte Homunkulus endlich eine schöne geräumige Höhle gefunden, in der er sich niederlassen wollte. Und während er sich all seine magische Ausrüstung herbeizauberte, die er so zum täglichen Zaubern brauchte, schwor er, daß er sich an dem Zwergle bitter rächen würde.
"Diesem Wicht werde ich wohl zeigen, daß er sich lieber mit mir nicht hätte anlegen sollen!" rief Homunkulus zu sich selbst. Und die ganze Nacht träumte er davon, wie er das Zwergle wohl am besten fangen könnte.